Schach in England – Mill Hill FIDE Congress

Auf der Suche nach einem interessanten Turnier an einem auch unabhängig vom Schach interessanten Reiseziel bin ich in England fündig geworden. Am letzten Wochenende habe ich beim Mill Hill FIDE Congress, einem Turnier in London, mitgespielt. Fünf Runden, verteilt auf Samstag (3 Runden) und Sonntag (2 Runden) mit relativ kurzer Bedenkzeit (60 Minuten + 30 Sekunden Inkrement). Mit relativ spätem Turnierbeginn (Samstag 10:30, Sonntag 11 Uhr englische Zeit) und gestärkt durch ein englisches Frühstück muss es doch gut laufen, oder?

In der U1900-Gruppe war ich an 8 von 32 gesetzt, obwohl ich mit meiner Elo-Zahl von 1644 sogar noch in der U1700-Gruppe hätte spielen können. Die Gegner schienen mir allerdings deutlich stärker zu sein, als ihre Wertungszahlen vermuten lassen…

In Runde 1 habe ich Weiß gegen Vivek Sadhwani, der in der Eröffnung eine Variante wählt, mit der ich mich offenbar noch nicht gut genug auskenne. So habe ich keine ausreichende Kompensation für den geopferten Bauern, er erlaubte sich auch keine größeren Fehler, und nach meinem schwachen 24. Zug stehe ich auf Verlust. Am Ende erzwingt er mit zwei schönen Ablenkungsopfern das Matt.

Weiß am Zug muss verhindern, dass Schwarz 24. … a5 zieht und den b-Bauern deckt. Der Partiezug 24. De6? ist schwach, nach 24. a5 kann man noch kämpfen.

In der zweiten Runde spiele ich dann mit Schwarz gegen Ayan Pradhan, einen der jüngsten Teilnehmer – geboren 2015. In der Eröffnung erlaubt er, dass ich den Gambitbauern mit besserer Stellung zurückbekomme – diese für Schwarz vorteilhafte Variante hatte ich allerdings auch schon gegen Spieler über 1900 Elo auf dem Brett. Durch meine aktiveren Figuren gewinne ich weitere Bauern. Am Ende habe ich im Turmendspiel zwar den vorgerückten h-Bauern, der alleine kaum gewinnen kann – aber auch noch Freibauern auf a- und b-Linie, und gewinne somit.

In der dritten Runde habe ich wieder Weiß. Mein Gegner, Maanav Nagda, spielt ein interessantes Gambit, das ich nicht kenne. Nach der Partie denke ich, dass er das einfach taktisch sehr gut gespielt hat, aber die Analyse zeigt, dass ich außerdem auch noch viele sehr schlechte Züge gefunden habe. Kurz vor Schluss, schon mit etwas wenig Zeit, habe ich dann sogar die richtige taktische Gewinnidee, aber bilde mir irgendwie ein, dass Schwarz einfach Material nehmen könnte, rechne dann bei der Alternative auch noch falsch, und verliere…

Weiß am Zug gewinnt – aber wie?

An Tag 1 somit nur 1 Punkte aus 3 Partien. Das ist mir eigentlich etwas zu wenig, zumal die Gegner auch deutlich schlechtere Wertungszahlen haben…

Obwohl die Paarungen erst am Sonntag veröffentlicht werden habe ich etwas Vorbereitung auf Runde 4 – schließlich kann man sich im Schweizer System etwa ausrechnen, gegen wen man spielen muss. Mein Gegner ist wie erwartet Junyi Zhang (geboren 2014). Ich habe wieder Schwarz und spiele mein „Spezial-Russisch“ – die Vorbereitung sagt, dass er das Opfer wohl annimmt, und das stimmt auch. Nach 10 Zügen stehe ich auf Gewinn, aber diese Variante hatte ich noch nie auf dem Brett und mache deshalb die richtigen Züge in der falschen Reihenfolge. Anstatt mindestens die Dame zu gewinnen erhalte ich so nur Angriff gegen den herausgetriebenen weißen König. Den spiele ich aber schlecht aus, so dass mein Gegner sich erfolgreich verteidigen kann. Als ich dann plötzlich auch noch die Qualität einstelle bilde ich mir ein, schlechter zu stehen, und nehme lieber das Remisangebot an – tatsächlich hat mein gegner die Stellung aber korrekt eingeschätzt, Schwarz hat eine gewisse Kompensation und die Engine sieht nur leichten Vorteil für Weiß.

Schlagen oder nicht schlagen?

Mit lediglich 1,5 aus 4 treffe ich in der letzten Runde mit Weiß auf Damian Anthony Wong. Er muss nach wenigen Zügen sein Rochaderecht aufgeben, aber die entstehende Stellung ist – anders als etwa Alterman behauptet – meiner Meinung nach für Schwarz zu halten. Allerdings ist sie für Weiß sicher einfacher zu spielen… Ich habe lange Vorteil, finde aber auch nicht immer die optimalen Fortsetzungen… Am Ende steht sogar Schwarz besser, aber durch ein Zwischenschach gewinne ich Material und damit die Partie.

Weiß hat einen Mehrbauern – soll man also die Damen tauschen?

Am Ende habe ich nun also 2,5 aus 5 gegen nominell schwächere, aber überwiegend junge und unterbewertete Gegner erreicht. Das ist zwar kein Weltuntergang, aber ganz zufrieden bin ich damit natürlich nicht. Beim nächsten Mal sollte ich es besser machen – der Umfang der Londoner Museen macht eine weitere Londonreise auf jeden Fall notwendig (vielleicht im nächsten Jahr), und die werde ich dann sicher wieder so planen, dass ich dort auch ein Turnier mitspielen kann. Der Mill Hill FIDE Congress findet jetzt monatlich statt, die nächsten Termine stehen bereits fest und wurden im Terminkalender auf chessengland.com veröffentlicht.

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